Matrixorganisationen haben gravierende Probleme

Üblicherweise sind in crossfunktionalen Teams die Führungsstrukturen nach Disziplinen organisiert. Sprich, UXler berichten an einen Head of UX, Backend-Entwickler an einen Head of Backend usw. Die Führungskräfte sind dabei für mehrere Mitarbeiter in verschiedenen Produktteams verantwortlich (siehe Abbildung 1) und übernehmen sowohl Managementaufgaben (Mitarbeiterentwicklung, Organisation und Planung, Gehaltsverhandlungen…) als auch Führungsaufgaben (Mentoring und Coaching, Vision und Motivation schaffen). Dieses Setup bringt einige Herausforderungen mit sich.

Klassische Matrixorganisation in einem Tech Unternehmen.

Abbildung 1: Klassische Matrixorganisation in einem Tech Unternehmen.

Führungskräfte sind weit weg vom Alltag ihrer Mitarbeitenden, wodurch Coaching und individuelle Förderung schwierig werden. Die Führungskräfte selbst sind meist auch fachlich in einem Produktteam aktiv und daher durch zu viele Kontextwechsel überlastet.

Es entsteht eine ‘Schattenagenda’ einzelner Disziplinen, die von den Mitarbeitenden parallel zur den Produktzielen des Teams umgesetzt werden soll. Das können cross-cutting Themen, wie ein größerer TechDebt Abbau oder ein Style Guide sein. So etwas führt immer wieder zu Reibung im Produktteam oder setzt einzelne einem unnötigen Zielkonflikt aus (“Arbeite ich jetzt an dem nächsten Ticket meines Produktteams oder am Style Guide?”). Manche Teams “lösen” diesen Konflikt durch eine X% Regel: “20% der Zeit arbeiten wir an technischen Stories.” Was natürlich nie funktioniert.

Probleme eskalieren schneller. Wenden sich Mitarbeitende bei Problemen an ihre Führungskräfte, laufen im ungünstigsten Fall die Fäden erst wieder im C-Level zusammen. Das führt zu einer Verzerrung der Tatsachen und viel Wirbel, wodurch das Vertrauen in das Team gestört und im schlimmsten Fall das Team entmündigt wird. Es kann auch der umgekehrte Fall eintreten, dass Problem gar nicht zur Sprache kommen und so das Team geschwächt wird.

Sowohl fachliche als auch produktteamnahe Führung sind notwendig

Das Dilemma vor dem wir stehen, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Wir benötigen fachliche Führungskräfte, da sie eher respektiert werden (besonders im Engineering), besser unterstützen können und die Situation der Mitarbeitenden besser verstehen.

  • Wir benötigen Führungsstrukturen, die die Teamstrukturen widerspiegeln, um eine einheitliche Führung in den Produktteams zu gewährleisten und Probleme lokal lösen zu können.

Um ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeiter:innen produktiv sein können und sich wohl fühlen, müssen wir einheitliche Führung in den Produktteams gewährleisten, Probleme lokal angehen, unsere Mitarbeitenden in ihrer Disziplin bestmöglich unterstützen und ihre Situation nachvollziehen können.

Verständnis ist wichtiger als die konkrete Disziplin

Eine zentrale Grundannahme, die hinter der Matrixorganisation steht, lautet:

“Die fachliche Kompetenz der Führungskräfte (gerade im Engineering) ist extrem wichtig.”

Die meisten Probleme im Arbeitsalltag, in denen eine Führungskraft unterstützt, sind dagegen nicht fachlicher, sondern zwischenmenschlicher Natur. Hier ist es vor allen Dingen wichtig, dass die Führungskraft die Situation des Mitarbeitenden nachvollziehen kann. Dabei muss es nicht die exakt gleiche Disziplin sein. Manche Disziplinen sind näher an der Erfahrungswelt einer Person als andere. Frontend- und Backend-Entwicklung liegen beispielsweise näher beieinander als Produktmanagement und Backend-Entwicklung.

Implizite Führung explizit zu machen, hilft dem Team

Eine weitere Annahme aus dem Kontext von Scrum lautet:

“Produktteams dürfen keine formale Hierarchie haben.”

Führung umfasst eine Menge von Aufgaben (Einarbeitung von Kolleg:innen, Kommunikation in alle Richtungen, Moderation bei Konflikten…) die von einer oder mehreren Personen im Team übernommen werden müssen. Zusätzlich gibt es klassische Management-Aufgaben (Gehaltsverhandlungen, Mitarbeitergespräche, One-on-Ones, Mitarbeiterentwicklung…), die ebenfalls in das Thema Führung hineinspielen können. Es gibt meiner Erfahrung nach in den meisten Teams nur sehr wenige Personen, die dies können und wollen. Im Idealfall ist die Benennung der Führungskräfte nur eine Formalität, da sie viele der Führungsaufgaben bereits übernehmen. Umso sinnvoller ist es, diese Personen explizit zu benennen und zu unterstützen, denn gute, unterstützende Teamführung ist alles andere als einfach.

Eine Doppelspitze aus Product und Engineering als Lösung

Eine mögliche Lösung des Dilemmas ist die Einführung einer Doppelspitze aus Product Lead und Engineering Lead in jedem Produktteam. Beide arbeiten eng zusammen und verantworten die Ergebnisse des Produktteams gemeinsam. Dabei leitet der Engineering Lead alle Engineers (Frontend, Backend und DevOps) und der Product Lead alle Produkt Manager:innen und UXler:innen.

Vorteile

  • Lokale Probleme können lokal gelöst werden, da die Fäden direkt in der Doppelspitze zusammenlaufen.

  • Führungskräfte sind nah an den Mitarbeitenden und arbeiten im Produktteam mit.

  • Führungskräfte investieren ihre gesamte Zeit in ihr Produktteam und haben deutlich weniger Kontextwechsel.

  • Die Vision des Teams tritt gegenüber den Zielen der einzelnen Disziplinen in den Vordergrund.

Nachteile

  • Nicht alle Mitglieder des Teams sind weiterhin formal gleich.

  • Viel hängt von der Zusammenarbeit und der Führungskompetenz der Doppelspitze ab.

Damit dieser Ansatz funktionieren kann, ist weiterhin eine starke fachliche Betreuung der Mitarbeitenden notwendig. Um das zu erreichen, können fachliche Experten als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Wichtig ist, dass diese Experten keine Führungsaufgaben übernehmen, sondern sich allein um die Verbesserung ihrer Disziplin im Unternehmen kümmern.

Fazit

Produktteams benötigen Führung. Eine Doppelspitze aus Engineering Lead und Product Lead, die gemeinsam die Ergebnisse des Teams verantworten, kann eine Möglichkeit sein dies gewährleisten.

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